„Bridge the chasms that divide“ – 30 Jahre Ende der Apartheid in Südafrika
The time for the healing of the wounds has come.
The moment to bridge the chasms that divide us has come. The time to build is upon us.
—Nelson Mandela, Presidential inauguration, 10th May 1994
Dreißig Jahre später klingen die Worte von Präsident Mandela noch genauso wahr wie bei seiner Amtseinführung als neuer Präsident Südafrikas nach den ersten freien und fairen Wahlen im April 1994.
Der Sinn für gemeinsame Kulturen war von zentraler Bedeutung für den Prozess der Versöhnung und Heilung im Südafrika nach der Apartheid, und das Ideal einer „Regenbogennation“ war eine dauerhafte Inspiration für die Weltgemeinschaft.
Das Signum Quartett feiert diese „glorreiche menschliche Errungenschaft“ und die darin enthaltenen Konflikte, indem es Kompositionsaufträge an einige der originellsten und kraftvollsten Komponist:innen und Musiker:innen Südafrikas vergeben hat und sie gebeten hat, über ihre eigenen Erfahrungen und Wege seit 1994 zu reflektieren und so einen reichen musikalischen Teppich zu weben, der so vielfältig ist wie das Land selbst.
Never, never and never again shall it be that this beautiful land will again experience the oppression of one by another and suffer the indignity of being the skunk of the world.
Let freedom reign.
The sun shall never set on so glorious a human achievement! God bless Africa!
Das Signum Quartett hat die folgenden Komponisten gebeten, ein Werk für “bridge the chasms that divide” zu komponieren:
Abel Selaocoe
Denise Onen
Lise Morrison
Monthati Masebe
Thandi Ntuli
Neo Muyanga
Dizu Plaatjies zusammen mit Matthijs van Dijk
Der erste Teil des Projekts findet in Bremen im Rahmen des SIGNUM open space statt. Zwei der Komponisten werden anwesend sein: Dizu Plaatjies, Professor an der Universität von Kapstadt und Spezialist für traditionelle afrikanische Musik, und Neo Muyanga aus Soweto. Im Mittelpunkt dieses Besuchs stehen öffentliche Proben, ein Workshop/ Vortrag und ein abschließendes Konzert in Bremen. Der Vortrag der Komponisten, der am 25. April im Bremer Überseemuseum stattfinden wird, wird nicht nur musikstilistische Aspekte beinhalten, sondern auch über geschichtliche Hintergründe zur Apartheid und deren Auswirkungen auf das heutige Leben als schwarze/r Komponist:in in Südafrika berichten. Dizu Plaatjies wird auch einige seiner Kompositionen auf traditionellen südafrikanischen Instrumenten spielen.
Am südafrikanischen Freiheitstag, dem 27. April 2024, auf den Tag genau 30 Jahre nach den ersten freien und fairen Wahlen, wird dieser erste Teil des Projekts mit einem Konzert in der Kulturkirche St. Stephani abgeschlossen. Drei der Auftragskompositionen werden von Joseph Haydns „Lerchenquartett“ und dem Streichquartett F-Dur op. 41 Nr. 2 von Robert Schumann umrahmt.
Der zweite Teil des Projekts wird sich von September bis Dezember 2024 erstrecken. Dazu gehören die Uraufführungen der weiteren Kompositionen im Boulezsaal in Berlin und in der Kölner Philharmonie sowie eine Tournee durch Südafrika und die Aufnahme eines Albums mit den Werken im Sendesaal in Bremen.
Ziele
Rassismus, Antisemitismus, Ausgrenzung und die Benachteiligung von Minderheiten sind aktueller denn je und auch bei uns wieder allzu präsent. Nicht zu vergessen, dass auch die verschiedenen Sparten der Kunst oft für (Hass-) Propaganda missbraucht wurden. Die Musiker:innen des Signum Quartettes möchten auf die Missstände von damals und heute aufmerksam machen. Es ist ihnen eine Herzensangelegenheit die Geschichten der Komponist:innen, die selbst unter dem Apartheidsregime gelitten haben, zu hören, und sie mit ihrem Publikum in Bremen und der Welt auf musikalische Art und Weise zu teilen. Doch nicht nur auf die Geschichte Südafrikas bezogen, sondern ganz grundsätzlich, betrachten die vier Musiker:innen es als Teil ihres künstlerischen Selbstverständnisses, sich gesellschaftlichen Themen anzunehmen und auch soziokulturelle Fragen in Konzerten anzusprechen. Mit den ihnen eigenen Mitteln wollen sie ihr Publikum für diese Themen sensibilisieren.
Die großen ideellen Ziele des Projekts sind, anhand des historischen Jubiläums von „30 Jahre Ende der Apartheid“, die Geschichte Südafrikas ins Gedächtnis der Menschen zurückzurufen und damit ein Zeichen zu setzen. Darüber hinaus möchte das Quartett die Vielfalt der südafrikanischen Musikkultur in den Fokus rücken und zur Verbreitung dieses kulturellen Reichtums beitragen.
Die Musiker:innen möchten sich in ihrem künstlerischen Selbstverständnis in gesellschaftliche Themen einbringen und soziokulturelle Themen in Konzerten ansprechen und das Publikum dafür sensibilisieren. Dabei ist die neue und/oder bisher selten gehörte Klangsprache ein wichtiger Anknüpfungspunkt, der dazu beiträgt, sich Ungewohntem zu öffnen und neue (Hör-) Erfahrungen zu machen.
Das Quartett strebt an, das reguläre Konzertformat entscheidend weiterzuentwickeln, indem es mittels Moderation und Diskussion bzw. im und durch Gespräche mit den Komponist:innen sowie dem Publikum neue Denkanstöße, Erinnerungen und Neuentdeckungen mit auf den Weg gibt. Es sieht seine Musik als Botschafter und Brückenbauer zwischen Aktuellem und Vergangenem, zwischen Gewohnheit und Neuentdeckung.
Wir danken den Förderern dieses Projekts:
Heinz Peter und Annelotte Koch Stiftung
Monthati Masebe (b.1996): LEFA
im Auftrag des Signum Quartetts mit Unterstützung der Ernst von Siemens Musikstiftung
2024
Ich bin frei geboren, so sagt man
Ich bin Madibas Traum
Geboren nach der Apartheid mit einem Versprechen
dem Rassismus ein Ende zu setzen, außer….
Das kam nie, viele meiner Leute wurden ihrer Hoffnung beraubt und leben in einer Welt schwerer Stürme ohne Regenbögen. Indem ich dies auf die grassierenden physischen, psychologischen und spirituellen Kriege/Konflikte unserer Zeit ausdehne, habe ich dieses Stück geschrieben, um über die vielen Leben nachzudenken, die durch Schutt und Trümmer gehen, die einst Heimat genannt wurden. Die gefangenen Köpfe, die immer noch auf ihre Rettung durch das System warten, und eine Generation von Vordenkern, die sich erheben und Stellung beziehen
Für die
zum Schweigen gebrachten
Stimmen und das lauteste Schweigen.
Für den Aufruf zur kollektiven Heilung
Lefa- Erbe in Sesotho.
Für viele sind es lediglich Traumata und verwundete Seelen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.
(Monthati Masebe)
Monthati Masebe bei www.ensemble-recherche.de
Lise Morrison (b. 1988): Unfettered and Alive
im Auftrag des Signum Quartetts mit Unterstützung der Ernst von Siemens Musikstiftung
‚Unfettered and alive‘ – betitelt nach Joni Mitchells ‚Free Man in Paris‘ – ist ein Streichquartett in fünf Sätzen, komponiert zur Feier von drei Jahrzehnten Demokratie in Südafrika. Inspiriert von Gordimers und Krogs Geschichten vom Ende der Apartheid, die von Erlösung, Gewissensbissen, Resonanz, massiven Veränderung, tiefem Schmerz und Menschlichkeit, mit Worten, die „aus dem Herzen kommen … jede Silbe vibriert mit einem lebenslangen Leid.”
Die fünf kurzen Sätze sind:
1. Unfettered
2. Skull of my country
3. The heaven was hard…
4. …and it did not rain
5. Turn
(Lise Morrison)
Neo Muyanga (b.1974): eMthini we Mbumba
für Streichquartett
uMthi ist der mythische Große Baum, unter dem sich Generationen von Südafrikanern versammelt haben, um sich zu einigen. Ob es sich dabei um die Beilegung langjähriger Konflikte, um Verhandlungen über neue Kompromisse oder um das Eingehen neuer Bindungen handelt, der große Baum spendet allen, die ihn besuchen, gleichermaßen Schatten, Erleichterung und Schutz.
Diese Arbeit stellt die hohen und niedrigen Bewegungen vor, die mit den Prozessen der Einigung verbunden sind.
Das Aushalten solcher Prozesse scheint eine Fähigkeit zu sein, die in letzter Zeit Mangelware ist. Vielleicht war sie schon immer knapp? Und doch verlangt unsere Zeit den Mut, den vielen Schwierigkeiten zu trotzen, die damit verbunden sind, zu Bedingungen zu kommen, die für alle, die einen neuen, gerechteren Weg suchen, von Nutzen sind.
(Neo Muyanga)
Thandi Ntuli (b. 1987): “In the land where she is king”
In the land where she is king ist ein Stück, das von einem Buch inspiriert ist, das ich gerade von Dr. Mathole Motshekga lese:
DIE MUDJADJI-DYNASTIE
Die Prinzipien der weiblichen Führung in der afrikanischen Kosmologie
Es geht um die Verbindung zwischen verschiedenen alten afrikanischen Königreichen, ihrer Gesellschaftsorganisation und den darin vorherrschenden gesellschaftlichen Werten von Gleichgewicht und Harmonie.
Dieses Stück ist meine Vorstellung davon, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, in der die weibliche/mütterliche Kraft und die Prinzipien geschätzt werden.
Ich stelle mir eine Gesellschaft vor, in der die Bedeutung der Frauen nicht heruntergespielt wird, in der sie mehr gefördert werden und in der die Menschen ihren Mitmenschen gegenüber mehr Freundlichkeit und Respekt zeigen. Eine Gesellschaft, in der Arbeit, Ruhe und Spiel in ihrer Rolle gleichwertig sind und das Gleichgewicht wiederhergestellt ist. Ein Land, das die Vielfalt von Individuen und Gemeinschaften wertschätzt, ohne den hyperindividualistischen Charakter der heutigen Welt.
(Thandi Ntuli)
Denise Onen (b. 1995): Demockracy – for String Quartet and Tape
m Auftrag des Signum Quartetts mit Unterstützung der Ernst von Siemens Musikstiftung
Demockracy ist ein Wortspiel aus den Begriffen „Demokratie“, „Demo“ und „Verhöhnung der Demokratie“. Manche kritisieren die ungebremsten Benachteiligungen der Apartheid als Verhöhnung der Hoffnungen und Träume der Anti-Apartheid-Helden. Unser gegenwärtiger Zustand der Regierungen ist eine ‚Demo‘ der Demokratie, und die anhaltenden Ungleichheiten im Südafrika nach der Apartheid sind eine Verhöhnung der Demokratie…
(Denise Onen)
Score Editor: Matthew Pratt
Dizu Plaatjies (b. 1959) mit Matthijs van Dijk: “21:30”
Für 21:30 hat Plaatjies drei seiner Lieder ausgewählt, zwei für Mundbogen (umrhubhe) und eines für uhadi, die van Dijk in Absprache mit Plaatjies für Streichquartett bearbeitet und arrangiert hat. Der Titel ist eine Hommage an Plaatjies‘ Großvater väterlicherseits, der 112 Jahre alt wurde und wie Plaatjies‘ Vater sowohl ein traditioneller Heiler als auch Mitglied der katholischen Kirche war. Er sagte sein eigenes Ableben auf die Minute genau voraus, und an dem Tag, an dem dies geschehen sollte, war er im Morgengrauen auf und arbeitete im Garten. Seine Familie wollte nicht glauben, dass dies der Tag sein könnte, und in der Nacht versammelte der Großvater seine Familie um sein Bett und unterhielt sich angeregt bis 21:30 Uhr, als er sich die Decke über den Kopf zog und nicht mehr lebte.
Dieses Werk wurde vom Signum Quartett für sein Projekt „bridge the chasms that divide / Trennende Abgründe überbrücken“ in Auftrag gegeben, das 30 Jahre nach dem Fall der Apartheid in Südafrika stattfindet. Es wurde in einer Fassung für Quintett am südafrikanischen Freiheitstag 2024 uraufgeführt, wobei Dizu Plaatjies zusammen mit dem Signum Quartet auftrat.
(Xandi van Dijk)
Dizu Plaatjies on Wikipedia
www.mattvandijk.com
Abel Selaocoe (b. 1992): Umthwalo
Umthwalo bedeutet „eine schwere Last zu tragen“ – „umthwalo uya sinda“. Es ist ein Stück über das Verständnis, dass die südafrikanische Nation eine schwere Last der Geschichte trägt und dass es Zeit brauchen wird, um zu heilen. Was ist der Prozess, der es uns ermöglicht, mit der Heilung zu beginnen? Bei diesem Prozess geht es um den Instinkt und die Intuition des Geistes: „umoya, umbilini“. Es geht darum, unsere Vorfahren zu bitten, uns zu erlauben, alle Methoden zur Konfliktlösung, die es bisher gab, in die Praxis umzusetzen. Dass wir verstehen, woher wir kommen, dass wir über die Tage der Apartheid hinausblicken, dass wir auf vorkoloniale Gedanken zurückblicken. Zurückzuschauen, wie die Menschen früher gelebt haben, bis hin zu der Zeit, als die Kolonialisten zum ersten Mal nach Südafrika kamen. Zu sehen, wie das Vertrauen untergraben und weggenommen wurde und nun über Hunderte und Aberhunderte von Jahren zurückgewonnen werden muss.
Das Stück nimmt uns mit auf eine Reise, um diese schwere Last der Geschichte durch eine Art Harmonie zu verstehen, bei der wir zusammen singen, eine Art Harmonie, bei der wir uns trennen und unsere eigenen Geschichten singen. Dies ist auch die Idee am Ende des Stücks, die Idee von „Simunye“: Wir sind eins. Das gemeinsame Singen ist eines jener Heilmittel, das einen ganzen Raum heilt, das es einem ganzen Raum ermöglicht, einander zu verstehen – wenn auch nur für eine Minute, wenn auch nur für diesen Moment in diesem Raum.
Es gibt viele Anspielungen auf die südafrikanische Kirchenmusik in ihrem vierstimmigen Harmoniestil, einem Stil, der seinen Ursprung in einer Reihe verschiedener Einflüsse hat: Arten des Kirchengesangs aus den Kolonialgebieten der Welt. Wir nehmen das und stellen es auf den Kopf, und indem wir uns auf diesen Konflikt und diesen Zusammenfluss einlassen, werden wir zu uns selbst. Wir nehmen diese Dinge, die uns aufgezwungen wurden, und machen daraus etwas Neues und völlig Unbekanntes, etwas, das wir unser Eigen nennen.
Kompositionsauftrag von Signum Quartett und Kölner Philharmonie (KölnMusik), gefördert von der Ernst von Siemens Musikstiftung
Abel Selaocoe [ed. Xandi van Dijk]